Kein Täter werden Hotline Bundesweit

Projekt “APAC”

SET-FREE will die brasilianische APAC-Reintegrationsmethode im deutschsprachigen Raum bekannt machen und soziale Reintegrationszentren nach diesem Modell z.B. als Möglichkeit für das Übergangsmanagement in Deutschland und Europa anstoßen.

APAC (Associação de Proteção e Assistência aos  Condenados / Vereinigung zum Schutz und zur Unterstützung von Strafgefangenen) ist eine brasilianische Gefangenenhilfsorganisation, die von einer christlichen Bürgerinitiative ins Leben gerufen wurde. APAC betreibt soziale Reintegrationszentren für Inhaftierte als alternative Vollzugsform. Das Besondere an APAC ist der sehr stark ausgeprägte partizipative Charakter und die Einbindung der Gesellschaft in Form eines intensiven ehrenamtlichen Engagements.

Damit APAC auf die Unterstützung durch die Rechtsprechung zählen konnte, wurde sie als Institution der Justiz angegliedert. APAC versteht sich deshalb nicht als privatisierte Gefängniseinrichtung. Im Jahr 2001 wurde APAC offiziell vom Justizministerium des Bundesstaates Minas Gerais (MG) unter dem Namen “projeto novos rumos” als alternative Strafvollzugsform anerkannt und als solche im Gesetz verankert (Tribunal de Justiça 2009). Inzwischen folgten drei weitere brasilianische Bundesstaaten dem Vorbild von MG mit einer Gesetzesänderung, die alternative Strafvollzugseinrichtungen zulässt.

Entstehung

Dr. Mário Ottoboni, Journalist und Rechtsanwalt, begann in den 70er Jahren mit einer Gruppe von Ehrenamtlichen Gefangene zu besuchen und soziale Hilfe sowie Unterstützung durch Gespräche und Seelsorge anzubieten. Dieses Engagement führte 1972 zur Gründung von APAC und richtete sich zunächst darauf aus, an den menschenunwürdigen Zuständen in der Haftanstalt Humaitá in São José dos Campos etwas zu ändern. APAC übernahm im Laufe der Zeit immer mehr Zuständigkeiten in diesem Gefängnis, bis ihnen die Zuständigkeit für die gesamte Haftanstalt übertragen wurde. 

Ausbreitung

Inzwischen gibt es in Brasilien 69 voll ausgebaute APAC-Reintegrationszentren, die ohne staatliches Wachpersonal betrieben werden. Darüber hinaus wurden bereits über 40 weitere APACs als juristische Person gegründet, die es sich zum Ziel gesetzt haben, APAC umzusetzen und die sich in unterschiedlichen Aufbaustufen befinden. Weltweit gibt es Initiativen  in 13 Ländern mit unterschiedlichem Entwicklungsstand (Stand Januar 2024).

Im Jahr 2012 verlieh die Weltbank einen Preis an APAC als das innovativste Projekt. Im April 2013 war APAC zu einer Zusammenkunft in Argentinien von EUROsoziAL eingeladen und konnte dort das Programm von APAC vorstellen. EUROsoziAL ist ein Förderprogramm der europäischen Union, das die Länder in Lateinamerika bei der Umsetzung sozialpolitischer Strategien unterstützen will, die zur Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich beitragen, u.a. im Bereich Justizverwaltung. Aus Europa waren Vertreter aus den Justizministerien in Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland anwesend.

FBAC als Dachorganisation

1990 fand eine Lateinamerika-Konferenz in São José dos Campos statt, an der 21 Länder teilnahmen, die Interesse am APAC-Programm zeigten. 1991 wurde das Programm in den USA veröffentlicht und 1993 gab es eine Videoproduktion, die auch in asiatischen und europäischen Ländern Verbreitung fand. Diese starke Expansion von APAC und ein beginnendes weltweites Interesse führten schließlich zur Gründung von FBAC (Fraternidade Brasileira de Assistência aos Condenados / Brasilianische Gesellschaft zur Unterstützung von Strafgefangenen) als gemeinnützige Einrichtung, die seitdem als Dachorganisation aller brasilianischen APAC-Reintegrationszentren fungiert. FBAC wacht darüber, dass die Methodik und das Programm entsprechend den Vorgaben angewendet werden. Sie unterstützt beim Aufbau neuer APAC-Einrichtungen, sorgt für deren Verbreitung und gibt entsprechendes Material heraus.

Grundlegende Elemente des Programms

APAC nimmt eine Trennung zwischen dem Menschen vor, der eine Straftat begangen hat, dem Kriminellen, und dem Menschen, der in der Lage ist, konstruktiv zu handeln. Im Glauben daran, dass jeder Mensch sich ändern kann, soll der Gefangene befähigt werden, seinen Beitrag für die Gemeinschaft zu erbringen. Die Achtung seiner Würde, Vermittlung von Werten, Verantwortung und geeignete Rahmenbedingungen werden als Schlüssel für eine positive Veränderung gesehen.

APAC beschreibt 12 Elemente, die als grundlegend für das Programm angesehen werden und betont, dass diese Elemente einander bedingen und es deswegen von Bedeutung ist, sie in einem Miteinander umzusetzen. 

Beteiligung der Gesellschaft

Es wird versucht, Überzeugungsarbeit dahingehend zu leisten, dass die Gesellschaft davon profitiert, wenn sie mit dazu beiträgt, dass Resozialisierung gelingt. Die Einbindung der Gesellschaft drückt sich durch eine Vielzahl ehrenamtlicher Mitarbeiter aus, die in verschiedenste Bereiche einbezogen werden. Auch Familienangehörige und Ehemalige können sich für eine ehrenamtliche Mitarbeit entscheiden. Ehrenamtliche werden für ihre Aufgabe entsprechend ausgebildet.

Solidarität unter den Gefangenen

Das Einüben von gegenseitiger Unterstützung, Solidarität, freiwilligem sozialem Engagement und Verantwortung nehmen einen großen Stellenwert im Programm ein und sollen u. a. der Subkultur entgegenwirken. Als Verantwortungsgremium wird in jeder Vollzugsstufe ein “Gefangenenrat der Ehrlichkeit und Solidarität” eingesetzt. Ohne Entscheidungsbefugnis arbeitet dieser Gefangenrat an allen Aktivitäten mit. Diese Form der Mitbestimmung soll dazu beitragen, ein harmonisches Umfeld in der Vollzugsanstalt zu schaffen. 

Arbeit 

Arbeit wird als wichtiges Element betrachtet, jedoch nur, wenn es in ein Gesamtgefüge eingebunden ist. “Es macht nicht viel Sinn, fälschlicherweise zu glauben, dass allein die Arbeit als solche den Gefangenen bessert.”

Im geschlossenen Vollzug wird eine Arbeitstherapie durchgeführt sowie verschiedene Kurse  und Möglichkeiten der schulischen Bildung angeboten. Im halboffenen Vollzug finden berufliche Qualifizierungsmaßnahmen statt. Dazu dienen eigene Betriebe und die Beschäftigung in der Verwaltung. Der offene Vollzug verfolgt das Ziel der Reintegration in die Gesellschaft durch eine Beschäftigung außerhalb der Anstalt.

Vermittlung von Werten und spirituelle Angebote

In regelmäßigen Unterrichtseinheiten finden Gespräche statt, die zur Vermittlung von Werten und einer Verbesserung der Selbsteinschätzung dienen. Sie sollen helfen, die eigene Realität, Bedürfnisse, Lebensziele und Ursachen für die Straffälligkeit zu erkennen. 

Zugang zu Spiritualität wird als Unterstützung verstanden, damit der Mensch sich selbst in seiner Würde erkennt und als Hilfe für den Aufbau von Vertrauen, innerer Bindung und Sinnfindung. 

Umfassende soziale Unterstützung

Umfassende soziale Unterstützung wird unter dem Aspekt der Achtung der Würde des Menschen betrachtet, der in seinen ihn drängenden Bedürfnissen ernst genommen und versorgt wird. Die angebotene Unterstützung beinhaltet sowohl Gesundheitsfürsorge (psychologisch, physisch, mental, zahnärztlich) als auch rechtlichen Beistand, der kostenlos zur Verfügung gestellt wird.

Familienintegration

Die Arbeit mit den Familienangehörigen wird als zentral angesehen, um den häufig dysfunktionalen Charakter der Familien in einen Prozess der Veränderung mit einzubeziehen und den sozialen Empfangsraum nach der Haft vorzubereiten. Die Methode von APAC wird der Familie gegenüber transparent gemacht, um sie dafür zu gewinnen, sich am Prozess der Resozialisierung zu beteiligen. Durch die Beteiligung und das Engagement für die Familien wird eine wechselseitige Identifikation von Gefangenen und Familienangehörigen mit der Methode von APAC gefördert.

Abgestuftes Vollzugssystem

Das Vollzugssystem gliedert sich in drei Stufen, den geschlossenen, halboffenen und offenen Vollzug und ermöglicht damit eine schrittweise Reintegration in die Gesellschaft. 

Im geschlossenen Vollzug zielen die Angebote darauf ab, das Selbstbewusstsein, den Teamgeist und den Charakter der Gefangenen zu stärken, Zeit zu geben für einen Prozess der Schuldeinsicht und der Übernahme von Verantwortung. Im halboffenen Vollzug wird in den Integrationsprozess des Gefangenen und seiner Familie investiert. Disziplin, Ausdauer, Verantwortlichkeit und pro-soziales Verhalten sollen weiter eingeübt werden und sich beweisen. Im offenen Vollzug sollen sich die Gefangenen ihrer Rolle als Teil der Gesellschaft bewusst und für eine aktive Teilnahme gefördert werden.

Studie von Byron Johnson zur Legalbewährung 

Im Jahr 2002 erschien eine Studie von Johnson zur Legalbewährung. Johnson untersuchte das von Ottoboni gegründete APAC-Gefängnis in Humaitá. Die ermittelte Rückfallrate wurde mit 16% angegeben (vgl. Johnson 2002, S. 7f).

Die eigenen Statistiken von APAC berichten ebenfalls von bedeutsamen Erfolgen und einer  Rückfallquote, die fast nie 10% übersteigen würde (vgl. Ottoboni 2008, S. 91).  Die Stadtverwaltung von Itaúna gibt für das Jahr 2003 eine konstante Rückfallquote für das APAC Gefängnis in Itaúna von 7,8% an (vgl. Cidade da Itaúna 2003, S. 41). In einer Broschüre, die von der Regierung des Bundesstaates Minas Gerais herausgegeben wurde, wird für APAC eine Rückfallquote von etwa 10% angegeben (vgl. Tribunal de Justiça 2009, S. 13). Es bleibt jedoch unklar, wie die Zahlen ermittelt wurden und inwieweit sie als valide angenommen werden können.

Um einen Anhaltspunkt für Deutschland aufzuzeigen, sei hier auf Dünkel verwiesen, der in Deutschland von einer Wiederinhaftierungsrate von mindestens 50% und als Erfolgsquote bei Sozialtherapien von 10% bis 24% spricht, was er ebenfalls auf erneute Inhaftierungen bezieht (vgl. Dünkel 1996, S. 24, 26, 27). 

Die meisten Quellen, die Angaben zur Rückfallrate in APAC-Reintegrationszentren machen, lassen nicht erkennen, wie die Zahlen ermittelt wurden. Um valide Aussagen über die Rückfälligkeit zu ermitteln, bräuchte es empirische Langzeitstudien. Es bleibt aber festzuhalten, dass ganz verschiedene, voneinander unabhängige Gremien von einem Erfolg bei APAC in Bezug auf die Legalbewährung ausgehen. Dies ist umso bemerkenswerter, da es sich um selbstverwaltete Gefängnisse handelt, in denen sehr viele Bereiche durch Ehrenamtliche und Inhaftierte abgedeckt werden und demzufolge die Kosten für die Unterbringung wesentlich geringer ausfallen.

Literaturverzeichnis

  • Cidade de Itaúna (2003): APAC de Itaúna – Amor dignidade e vida por detrás das grades. Edição 10/2003. Itaúna/MG.
  • Dünkel, F. (1996): Empirische Forschung im Strafvollzug. Bestandsaufnahme und Perspektiven. Godesberg.
  • Johnson, B. (2002): “Assesing the Impact of Religious Programs and Prison Industry on Recidivism”.  An Exploratory Study. URL:http://web.archive.org/web/20030408001536/http://www.txcorrections.org/article.pdf [30.07.2013].
  • Ottoboni, M. (2008): Straftäter verändern. Eine Einführung in das APAC-Programm. Norderstedt.
  • Tribunal de Justiça do Estado de Minas Gerais (2009): projeto novos rumos na execução penal. Belo Horizonte/MG.
NEWSLETTER (FREUNDESBRIEF) ABONNIEREN

Ihre Mailadresse wird nur zur Versendung des bestellten Newsletters (Freundesbrief) verwendet. Mit dem Eintrag Ihrer Mailadresse und Absenden des Formulars bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen haben und die Erlaubnis zum Newsletter-Versand erteilen. Sie können sich jederzeit aus diesen Newsletter austragen. In diesem Fall werden alle Ihre Daten automatisch gelöscht.