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Kein Täter werden Hotline Bundesweit

Aufbruch in die Freiheit – ein Pilgerweg

Am 3. Oktober 2020 folgten 23 Erwachsene der Einladung zu einem Pilgertag. Initiiert und vorbereitet wurde der Tag von Angelika Lang, die in der Gefängnisseelsorge tätig ist, und Mitgliedern der Pfarrei St. Martin. Schon am Morgen bei der Vorstellungsrunde wurde offensichtlich, dass die Gruppe sehr bunt gemischt war. Erwartungsgemäß waren Mitglieder einiger Gemeinden der Pfarrei dabei. Dazu kam eine Teilnehmerin aus der evangelischen Nachbargemeinde. Zugezogene, die erst wenige Male im Gottesdienst in Dresden waren, nutzen den Pilgerweg, um Anschluss an die Gemeinde zu finden. Hinzu kamen auch Kirchenfremde, deren Interesse durch eine Ankündigung in der Zeitung geweckt wurde. Sehr bereichert wurde der Tag durch ehemalige Gefangene und Ehrenamtliche aus dem Bereich der Straffälligenhilfe wie z.B. dem SET-FREE e.V.

Pilgerweg

Das Programm war kurz umschrieben mit: 9:00 – 16:30 Uhr Pilgern ca. 16 km, Stationen mit Impulsen und persönlichen Berichten:

  • JVA – Gefangensein, was heißt das?
  • Wasser – Aufbruch in die Freiheit und zum Leben
  • Wegkreuzung – Leben in Fülle durch Berufung

Teilnehmende schrieben dazu:

An der ersten Station mit Blick über die Stadt und die Mauer der JVA Dresden hören wir die ersten Berichte der Ehemaligen. Diese Berichte rühren an. Es ist etwas ganz Besonderes.  Und es ist ganz anders als alles, was ich aus Büchern oder Fernsehen oder anderen Quellen kannte. Was bedeutet das, gefangen genommen zu werden, Gefangener / Inhaftierter zu sein. Und es brennen die Sätze in mir: ‚Du verlierst alles, alles was du hattest und warst. Alles wird dir genommen. Zuletzt musst du dich ausziehen, bis auf die Haut, bist nackt. Dann bekommst du Kleidung, die nicht die deine ist und von der du nicht weißt, wer sie vor dir getragen hat, und die in den seltensten Fällen passt. Es ist ein traumatisches Erlebnis.‘ Und in meinem Kopf dröhnt der Satz: „Jesus wird seiner Kleider beraubt.“

Auf dem weiteren Weg gehen wir schweigend. Wir bewegen die Fragen in unseren Herzen: ‚Wo bin ich gefangen? Woran bin ich gekettet – freiwillig / unfreiwillig? Welches Gewand / (Schutz-)Kleidung sollte ich ablegen? Ja, auch wir, die wir immer in Freiheit gelebt haben, haben unsere inneren Gefängnisse. Dabei ist klar, es ist ein großer Unterschied, ob mir meine Kleidung genommen wird oder ich mich dieser freiwillig entledige.

Ein Ehemaliger berichtet weiter: „Die ersten 3 Tage habe ich nicht geschlafen.“ „Als ich in den Knast kam, habe ich von einer Stunde auf die andere keinen Sinn mehr gesehen in meinem Leben“, erzählte er weiter.

„Die Zeit im Knast zwingt dich zur Begegnung mit dir selbst“ wurde uns erklärt und sogar von Gotteserfahrungen berichtet und der Berufung, sich jetzt für andere Inhaftierte und Haftentlassene zu engagieren. Ein anderer erzählte: „Ich war eine echte Größe im Rotlichtmilieu, aber ich wollte nicht, dass meine Tochter dort groß wird. Vater zu werden verändert alles. Meine Berufung ist es nun, Vater zu sein.“

Ich selbst hatte bis vor wenigen Wochen noch nie Kontakt zu Gefangenen bzw. ehemaligen Häftlingen. Wenn doch, wusste ich zumindest von keinem davon. Es ist schon sehr überraschend zu erfahren, dass jemand, den ich schon einige Zeit kenne und schätze, berichtet, dass er im Knast war – sogar lebenslänglich. Er berichtete, es sei schwer, offen mit der Vergangenheit umzugehen, insbesondere bei der Arbeitssuche und bei Behördengängen: „In dem Moment, wo die lesen, dass du im Knast warst, ändert sich die Atmosphäre des Gespräches und plötzlich wirst du ganz anders behandelt.“ Der Satz hat mich noch eine Weile beschäftigt, denn ich erwische mich zuweilen auch selbst dabei, jemanden aufgrund einer Information über seine Vergangenheit in eine Schublade zu stecken. Aber Leben verändert, Perspektiven ändern sich, Menschen ändern sich – wenn sie eine Chance dazu bekommen. Das ist auf dem Pilgerweg vielen in beeindruckender Weise bewusst geworden.

Der Pilgerweg veränderte unsere Gruppe. Wir, die wir einzeln zum Pilgertag gekommen sind, wurden eine Gemeinschaft, eine Gemeinde. Die Berichte der ehemaligen Insassen und die der ehrenamtlichen Betreuer und der Gefängnisseelsorgerin verschmolzen zu einem Bild. Den Abschluss des Pilgertages finden wir im gemeinsamen Gottesdienst.

Pilgerweg


Beiträge von Jadwiga Nawka und Christoph Kern, zusammengefasst von Angelika Lang
Copyright Fotos: Christina Roßmy


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